Ich bin momentan am Aussortieren, am Kistenpacken, am Vorbereiten. Denn ich ziehe um. Dabei fiel mir eine CD meiner Lieblingsband aus Teenagertagen in die Hände. Eines der Lieder trägt den Titel „Let it All go“. Es geht darum frei zu sein, im Kopf, im Körper, in der Seele, sich in den Fluss der Musik zu begeben und dem Flow zu überlassen. Das klingt, wie ich finde, ziemlich wunderbar. Es klingt nach Leichtigkeit. Vielversprechend. Und gleichzeitig: schwierig. Loslassen. Alles. Wie? Und wann? Und warum? Loslassen ist ein so weites, facettenreiches Thema, das uns alle betrifft und uns alle begleitet. Täglich. In den scheinbar belanglosesten Momenten. Wie dem Aufstehen und zu Bett gehen. Im Abschicken einer E-Mail oder im öffnen eines Briefes. Im Hinsetzen, um einen Moment der Ruhe zu finden. Im Wenden des Blicks und der Veränderung der Perspektive. Es umfasst viel mehr als ich hier abdecken kann und trotzdem möchte ich ein paar Gedanken dazu teilen. Zum Loslassen und zum neu beginnen.
Gerade erst liegt ein altes Jahr, sogar ein altes Jahrzehnt, hinter uns. Und viele feiern den Jahreswechsel. Er lässt uns reflektieren, über die Erlebnisse, die Momente und die Begebenheiten der vergangenen 12 Monate. Über Wünsche, Träume und Visionen. Über das was war und das was wir in der Zukunft sehen. Ich persönlich empfinde es als schönes Ritual am Jahresende oder auch am Jahresanfang. Es hat etwas Besinnliches für mich. Ein auf mich selbst besinnen, aufs Leben besinnen, auf das, was für mich wesentlich ist. Oder sein soll. Wenn ich zehn Jahre zurück blicke, dann hat sich viel getan, viel verändert in meinem Leben. Eine Beziehung hat in dieser Zeit begonnen und wurde beendet, ich bin umgezogen, ich habe eine Doktorarbeit abgeschlossen, einen neuen Job angefangen. Ich hatte meine erste Kunstausstellung, habe eine Yogalehrerausbildung absolviert und angefangen selbst zu unterrichten. Ich habe mich von Menschen verabschiedet und neue kennengelernt. Ich habe Höhen und Tiefen durchlebt und so auch Teile von mir selbst gehen lassen, weiterentwickelt und willkommen geheißen. Ich habe Reisen gemacht. Im Innen wie im Außen. Und immer bin ich ein Stück weit verändert daraus hervorgegangen. Ich habe so gesehen etwas abgestreift und etwas neu dazu gewonnen oder auch wiederentdeckt. Loslassen kann auf so verschiedene Arten und Weisen geschehen. Etwa schnell und abrupt, oder langsam und sanft. Bewusst, als klare Entscheidung, oder von Außen herbeigeführt. Loslassen kann schmerzhaft sein. Oder auch befreiend. Zuweilen sogar beides zugleich. Wir lassen etwas los und zugleich entsteht Raum für etwas Neues, etwas Anderes.
Es gab Situationen in meinem Leben, da wollte ich nicht loslassen, wollte keine Veränderung. Ich empfand es als unangenehm, als unwillkommene Störung des Vertrauten. Als Schmerz. Und das kann es durchaus sein. Nichtsdestotrotz sehe ich mittlerweile auch das Positive, das Potential, die Freiheit im Loslassen! Sei es das Loslassen alter Verhaltensmuster, Denkmuster, Vorstellungen, das Loslassen von Gegenständen, von Menschen, Umgebungen, die uns nicht gut tun, oder auch das physische Loslassen, etwa in der Yogapraxis. Durch meine Yogapraxis habe ich in den letzten Jahren viel gelernt übers Loslassen. Ich musste erkennen, dass ich den „Panzer“ meines Körpers und Seins nicht einfach aufknacken und hinter mir lassen konnte, um dann frei, verändert und unbeschwert weitergehen zu können. Sondern, dass auch dies ein Prozess ist. Ein Prozess, der Schicht um Schicht freilegt. In einem eigenen Tempo. Ich mag Vorstellungen haben und Wünsche, ja. Aber nicht immer gestaltet sich die Praxis oder der „Fortschritt“ wie von mir gedacht. Und ist es nicht auch im alltäglichen Leben so? Wir haben Vorstellungen, Wünsche, Vorhaben und das ist sicher nicht verkehrt. Aber nicht immer läuft es exakt wie von uns geplant. Und das bedeutet nicht unbedingt, dass es schlechter oder besser läuft, es läuft eben nur: anders. Let it all go. Ich freue mich auf meine neue Wohnung, die neuen Räume, die neuen Geschichten. Ich freue mich auf die Veränderung und sehe mich gleichzeitig konfrontiert mit alten Erinnerungen, die mir beim Kistenpacken begegnen. Es beinhaltet wohl auch immer beides, das Loslassen – den Abschied und den Neubeginn. Im Kopf, im Körper und in der Seele. Und auch wenn wir nicht alles loslassen, so birgt diese Schwelle des Übergangs doch immer auch etwas ganz Besonderes, ein Gefühl des Schwebens. Weder ganz hier, noch ganz dort. Loslassen. Ich wünsche euch allen ein wunderbares neues Jahr und Jahrzehnt. Auf dass es viele große wie kleine Neuanfänge für euch bereithalten möge. Wie eine frische Brise, die euch übers Gesicht und durch den Körper streicht.